Reitz Medien

Christian Reitz Kinematographie

Raumfilm Installation

VARIAVISION 2016

Geschich­ten in Bewegung

The­ma eines Raum­film­pro­jek­tes: Die Phan­ta­sien in die Fer­ne und das Ver­har­ren vor Ort.

Die kom­mu­ni­zie­ren­den Leinwände.

Das Neben­ein­an­der von Dar­stel­lung und Imagination.

Die Bild­ge­stal­tung als Wie­der­ga­be­mit­tel der fik­tio­na­len Rea­li­tät, die Mon­ta­ge, die das räumlich‑, zeitlich‑, inhalt­li­chen Zusam­men­wir­ken der Erzähl­in­hal­te mög­lich macht und die Form der Rezep­ti­on beim Zuschau­er sind die Gestal­tungs­grund­la­gen für die klas­si­sche Filmerzählung. 

Das oben beschrie­be­ne The­ma soll aber um sei­ner umfas­sen­den Bedeu­tung gerecht zu wer­den eine zusätz­li­che Gestal­tungs- und Prä­sen­ta­ti­ons­form erhal­ten. Einer eige­nen Betrach­tung wid­met sich daher das Spiel mit der asso­zia­ti­ven Mon­ta­ge einer par­al­lel auf­zu­neh­men­den Infor­ma­tio­nen als Werk­zeug der bild­ne­ri­schen Erzäh­lung. Par­al­lel erzähl­tes kann in Zusam­men­hän­ge gebracht wer­den, die allein durch gleich­zei­ti­ge Rezep­ti­on ver­än­dert wahr­ge­nom­men wer­den. Selbst­ver­ständ­lich wirk­sam und ohne stö­ren­de Absicht­lich­keit wer­den asso­zia­tiv gestal­te­te Ein­zel­er­eig­nis­se erfasst. Ein Gegen­pol ver­stärkt die Ein­zel­prä­senz. Die wech­sel­wir­ken­de Zusam­men­stel­lung des Neben­ein­an­ders soll gestal­ten­des Mit­tel sein und Syn­chro­ni­tät und Par­al­le­li­tät kön­nen die Bedeu­tun­gen trans­por­tie­ren und sogar beim Wahr­ne­men­den zum Erzähl­strang wer­den. Eine Film­spra­che wird so denk­bar, die den rea­len, inhalt­li­chen Bezug des Dar­ge­stell­ten zum Erzähl­ten um die Kom­po­nen­te des asso­zia­ti­ven Neben­ein­an­ders und der räum­li­chen Umfel­des erwei­tert. Eine gan­ze Rei­he von dra­ma­tur­gi­schen Über­le­gun­gen schließt sich an:

  • Die Bedeu­tung des Bild­ran­des als Gestaltungsmittel.
  • Die Aus­wir­kung der mono­ku­lis­ti­schen Dar­stel­lungs­norm der zeit­ge­nös­si­schen bild­ne­ri­schen Medi­en d.h. Zen­tral­per­spek­ti­ve als Realitätsbeleg.
  • Wie sor­tiert der Wahr­neh­men­de die Flut der Bild­eindrü­cke in der Welt der Mul­tis­creen-Bom­bar­de­ments zu erin­ner­ba­ren, gefühl­ten Ich-Erlebnissen?
  • Das Rea­li­tätwer­den des Bebil­der­ten durch gemein­schaft­li­che Rezeption.
  • Die Pho­to­gra­phie, spä­ter Video­gra­phie als Bestand­teil des Erin­nerns und Erinnertwerdens.
  • Wer denkt in Wor­ten, wer in ver­glei­chen­den Assoziationen?
  • Einer­seits wirkt die Kon­struk­ti­on eines ein­zel­nen Bildes;
    • was ist das Geheim­niss und Aus­drucks­kraft des Bil­des? Ande­rer­seits wird der Ablauf zur Haupt­aus­sa­ge eines Filmes;
    • nach erfolg­ter Rezep­ti­on wird die “Sto­ry” als erin­ner­ba­res Ereig­nis und emo­tio­nie­ren­de Ersatz­rea­li­tät bewertet.

Eine Art künst­li­che Wirk­lich­keit ent­steht, wel­che selbst in der Grup­pen­er­fah­rung nach­er­leb­bar wird. Das asso­zia­ti­ve Zusam­men­wir­ken des gleich­zei­tig Wahr­ge­nom­me­nen führt noch einen Schritt wei­ter. Das ist eine bild­sin­fo­ni­sche Erzähl­form, wie sie durch Par­al­lel­dar­stel­lung, Dupli­ka­ti­on und Bild­mon­ta­ge mög­lich wird. Das Rezep­ti­ons­trai­ning ganz all­täg­li­cher Par­al­lel­ein­drü­cke erlaubt uns, sol­chen Ein­drü­cken fol­gen zu kön­nen. Eine auf ein The­ma kon­zen­trier­te Form in einem zusam­men­ge­hö­ri­gen “Raum­film” ist des­halb eine kon­so­li­die­ren­de Rezeptionsmöglichkeit.

Alle die­se Über­le­gun­gen gehen aber nicht von der Annah­me aus, dass das Dar­stel­lung­er­eig­niss durch eine Art “Mix” der Dar­stel­lungs­mit­tel ent­steht und erst durch die Rezep­ti­on wirk­sam wird, son­dern die Zusam­men­stel­lung selbst ist untrenn­bar mit Inhalts­über­mitt­lung ver­bun­den. Im Ver­gleich zur Musik wird bebil­dern­den Aus­drucks­for­men bis­her kei­ne inne­woh­nen­de Bedeu­tungs­än­de­rung ohne Rezep­ti­on zuge­stan­den. Das Zusam­men­tref­fen von Tönen dage­gen kann zum Klang wer­den, Stimm­fre­quen­zen zu Gesang, Varia­ti­on der The­men zum kon­zer­ta­len Gesamt­ereig­nis anschwel­len. Durch Zusam­men­klang wird Neu­es geschaf­fen, selbst phy­si­ka­lisch gese­hen beein­flus­sen sich die Schall­ereig­nis­se gegen­sei­tig so stark, dass sie nicht mehr nur als die Sum­me ihrer Ein­zel­tei­le gese­hen wer­den kön­nen. Sie kön­nen sich bei­spiels­wei­se gegen­sei­tig kom­plett aus­lö­schen. Die­ser Ver­gleich ver­lockt zu einer bild­ne­ri­schen Ana­lo­gie, ein Eigen­le­ben des par­al­lel Dar­ge­stell­ten, Ver­bin­dun­gen unter­ein­an­der ohne Rezep­ti­on. Man­che bild­ne­ri­sche Gestal­ter hoff­ten schon lan­ge auf “Selbst­ge­bur­ten” ihrer Wer­ke, ein wei­ter­füh­ren­des leben­dig­wer­den, je län­ger die Beschäf­ti­gung damit andau­ert. Ein Per­pe­tu­um­mo­bi­le des in Ver­bil­dung gebrach­ten, wie eine Form die das Inne­woh­nen des leben­dig­wer­dens sicht­bar macht. Der Zuschau­er als Zeu­ge des Geschich­ten­ent­ste­hens. Die per­sön­li­che Anwe­sen­heit wird dar­über­hin­aus Bestand­teil des Zusam­men­wir­kens und Neu­ent­ste­hens. Die Bewe­gung des Wahr­neh­men­den von Erzählort zu Erzählort ist ein wei­te­rer Aspekt der Rezep­ti­on. Es kön­nen sich unter­schied­li­che Geschich­ten erzäh­len je nach

Auf­ent­halt im Raum, man kann nicht alles gleich­zei­tig erfas­sen, man muss sich ent­schei­den und bewe­gen. Die indi­vi­du­el­le Geschich­te. Das Raum­kon­zept für “HORIZONTE” Varia­vi­si­on 2016 grün­det auf obi­gen Vor­stel­lun­gen. Meh­re­re bespiel­ba­re Bild­flä­chen neben­ein­an­der und hin­ter­ein­an­der in ver­schie­de­nen Abstän­den sind nötig, damit die Ein­zel­hand­lun­gen auf alle Wei­sen mit­ein­an­der in Bezie­hung tre­ten können.

Die Bewe­gung des Betrach­ters von Lein­wand zu Lein­wand soll zen­tra­ler Bestand­teil der Erzähl­dra­ma­tur­gie der Raum­film­in­stal­la­ti­on sein. Hier und Da darf nicht gleich­wer­tig sein, man muss auch etwas ver­pas­sen können.

Es ist aber eine kla­re Abgren­zung von der eben­so struk­tu­rier­ten Wirk­lich­keit, der über­prä­sen­ten, fli­ckern­den Mul­tie­in­drucks­welt erfor­der­lich, die sich die Neu­gier des zufäl­lig Anwe­sen­den zu Nut­ze macht und deren All­ge­gen­wart Gewöh­nung folgt. Der Auf­merk­sa­me darf nicht der Will­kür über­las­sen oder gelang­weilt wer­den. Die absicht­li­che Anwe­sen­heit des Zuschau­ers in einem streng gestal­te­ten Raum lie­ße kei­nen Platz für die Ver­wechs­lung mit Zufäl­lig­keit. Geo­me­trisch abs­tra­hie­ren­de Form­ge­bung mit klas­sisch vier­ecki­gen Lein­wän­den, ange­bracht in gera­den Rei­hen neben­ein­an­der und hin­ter­ein­an­der mit der Mög­lich­keit ein­zel­ne, auf sich selbst bezo­ge­ne Hand­lungs­ab­läu­fe zu erzäh­len, aber auch unter­ein­an­der Bezug auf sich neh­men zu kön­nen und sich sog­arz­um Gesamt­schau­platz zu ver­ei­ni­gen, könn­te so ein Erfah­rungs­platz sein. Der Boden des Rau­mes selbst ist plas­tisch model­liert, in der Mit­te erhebt sich ein Hügel, so dass Nah- und Fern­per­spek­ti­ven mit künst­li­chem Hori­zont mög­lich wer­den. Der Zuschau­er kann durch sei­ne Bewe­gung im Raum und die dadurch gege­be­ne Posi­ti­on (zu bestimm­ter Zeit an bestimm­tem Ort) die Indi­vi­dua­li­tät der Per­spek­ti­ve bewir­ken. Wie bei einer Skulp­tur oder in der Archi­tek­tur ändert sich dann die Bedeu­tung im Zusam­men­spiel mit den Anwe­sen­den. Die Erzäh­lung erwächst aus der Rei­hen­fol­ge: Kom­mu­ni­ka­ti­on, Asso­zia­ti­on, Rezeption.

I

His­to­ri­sche Ver­su­che der par­al­lel­op­ti­schen Filmgestaltung

Ent­de­ckung und Neuinterpretation

Die his­to­ri­sche Mul­tis­creen-Instal­la­ti­on VARIAVISION 1965 hat­te die Mobi­li­tät des Men­schen zum The­ma. Ein auf­stre­ben­der, befrei­en­der Rei­se­wunsch sich über­all hin­be­we­gen zu kön­nen. Auf 16 schwe­ben­den Lein­wä­den wur­den The­men­grup­pen zu damals übli­chen Trans­port­mit­teln und deren vari­an­ten­rei­cher Bedeu­tung in einem aus­ge­feil­ten Zeit­schlei­fen­spiel gezeigt. Auch bezo­gen sich die gezeig­ten Fil­me im rhyth­mi­schen Tur­nus auf ihre Nach­bar­bil­der und bil­de­ten Syn­chron­stel­len mit allen Lein­wän­den. Die Sich­tung und Remon­ta­ge der erhal­te­nen Frag­men­te mach­te deut­lich, dass den ver­än­der­ten Ver­hält­nis­sen nur eine Neu­ge­stal­tung Rech­nung trägt, die sowohl im Raum­kon­zept an VARIAVISION erin­nert, als auch die Ori­gi­nal­se­quen­zen zitiert, aber das The­ma “Der Mensch in Bewe­gung” fil­misch neu inter­pre­tiert. So wird Neu­ge­stal­tung zur Retro­spek­ti­ve. Hier kön­nen die oben beschrie­be­nen “Kommu­ni­zie­ren­den Lein­wän­de” zum Ein­satz kommen.

Mobi­li­tät ist bei ers­ter Betrach­tung heu­te sicher so aktu­ell wie 1965, hat aber radi­ka­le Ver­än­de­rung sowohl in sei­ner Aus­prä­gung als auch in sei­nen Wir­kun­gen erfah­ren. Die­ser Wan­del for­dert sei­ne eige­ne Dar­stel­lung und sei­ne Inter­pre­ta­ti­on um fol­gen­den mas­siv ver­än­der­ten Gege­ben­hei­ten, die die­sen The­men­kom­plex beglei­ten, gerecht zu wer­den. Der ent­schei­dens­te Ent­wick­lungs­pro­zess scheint neben der ent­wer­ten­den, all­ge­gen­wär­ti­gen Ver­füg­bar­keit der Trans­port­mit­tel, die Vir­tua­li­sie­rung des Mobi­li­täts-Zie­les und der Bewe­gung selbst zu sein.

Den Para­dig­men­wech­sel zeigt eine Auf­lis­tung von Mobi­li­täts­mo­ti­ven mit auf­stei­gen­der Virtualisierung:

  • Vom Orts­wech­sel wegen Ressourcenknappheit,
  • Flucht wegen Bedrohung
  • Erwei­te­rung des Handlungsraumes,
  • Neu­gier und Samm­lung von Erfah­rung in der Ferne,
  • macht­hung­ri­ge Erwei­te­rung des Ein­fluss­be­rei­ches (hier kön­nen schon Ande­re als man selbst die Rei­se antreten),
  • Bil­dungs­rei­sen und Aben­teu­er­rei­sen (besuch­te Orte wer­den gesam­melt wie Trophäen),
  • Erho­lungs­rei­sen (hier über­nimmt die Rei­se­pla­nung und spä­te­re Erin­ne­rung oft schon die Hauptfunktion),
  • Rei­sen zum Zwe­cke der Bewe­gung von tech­nisch inno­va­ti­ven Trans­port­ma­schi­nen, die den Kör­per des Len­kers sti­mu­lie­ren­den sol­len. (Die Erfahr­bar­keit von Beschleu­ni­gung und Tem­po ersetzt dabei den Plan ans Ziel zu kommen),
  • Wunsch- und Traum­rei­sen mit­tels Bericht oder Medi­en­kon­sum, abtau­chen in Fer­ne Wel­ten in fik­tio­na­ler Dar­stel­lung (hier muß man sich schon nicht mehr selbst bewegen),
  • Leben in vir­tu­el­len Wel­ten von Com­pu­ter­spie­len, (Ent­ste­hung von Paralleluniversen)
  • Zutritt und Auf­ent­halt in Chat­rooms (hier agiert man wie­der sel­ber, aber der Ort exis­tiert nicht mehr),
  • Sur­fen im welt­wei­ten Netz (ersetzt die eige­ne Prä­senz vorort),
  • Zahl der Besu­che auf Home­pages wer­den zum Kenn­zei­chen glo­ba­ler Bekanntheit.
  • Selbst­ver­wirk­li­chung im Cyber­space (Gefüh­le und Ero­tik im spür­ba­ren Freiraum)

Die rea­le Orts­ver­än­de­rung weicht der ima­gi­nier­ten, vir­tu­el­len mul­ti­lo­ka­len Rea­li­tät. Gleich­zei­tig ent­steht das wach­sen­de Bedürf­niss der Agie­ren­den, Grup­pen gleich­ge­sinn­ter, gleich­pla­nen­der zu bil­den, wel­che selbst dann die Funk­ti­on eines neu­en Ortes über­neh­men kön­nen. Die Fas­zi­na­ti­on an sol­cher Grup­pen­mo­bi­li­tät ist aber nicht klei­ner, im Gegen­teil, sie ist Motor der sich beschleu­ni­gen­den Ent­wick­lung gewor­den. Die Inter­pre­ta­ti­on der Grup­pen­ak­ti­vi­tät als Raum­bil­den­des Ele­ment kennt kei­ne Zwei­fel. Der Stau ist ein Ort. Indi­vi­du­el­ler Ent­deck­er­wil­le und For­scher­geist ste­hen nicht im Vor­der­grund der Rei­se­inter­es­sen. Der moti­vie­ren­de Trieb einen Ort zu ver­las­sen mün­det in den raum­frei­en Kon­sum­platz. Das Ankom­men ist kein zwin­gen­des Ziel mehr. Die Navi­ga­ti­on in den Netz­wer­ken und die Selbst­dar­stel­lung in Grup­pen ver­mit­telt Gebor­gen­heit und Schutz. Der Zugriff auf welt­wei­te Infor­ma­ti­ons­ar­chi­ve befrie­digt den Neu­gie­ri­gen ohne aus dem Haus gehen zu müssen.

Die bild­ne­ri­sche Dar­stel­lung die­ses The­men­krei­ses erfor­dert den mul­ti­lo­ka­len, par­al­lel­op­ti­schen Pro­jek­ti­ons­treff­punkt, der Bewe­gung zum Inhalt macht. Die dar­ge­stell­te neu ent­wi­ckel­te Raum­film­in­stal­la­ti­on inter­pre­tiert Betrach­tun­gen eben die­ses Wandels.

II

Eine Raum­film­in­stal­la­ti­on zum The­ma “Men­schen In Bewegung”.

Dra­ma­tur­gi­sches Konzept

Der ers­te Ein­druck des Publikums:

Nach­dem man sich ent­schlos­sen hat VARIAVISION 2016 zu besu­chen, durch­quert man einen brei­ten Vor­raum in dem doku­men­ta­ri­sches Anschau­ungs­ma­te­ri­al zur Ent­ste­hung von VARIAVISION zu sehen ist, ins­be­son­de­re auch Mate­ria­li­en aus der his­to­ri­schen Ver­si­on von 1965. Von hier aus gelangt man zu zwei Ein­gän­gen, Licht- und Schall­schleu­sen, wel­che die eigent­li­che Hal­le mit der Raum­film­in­stal­la­ti­on vom Vor­raum abtren­nen. Die bei­den Ein­gän­ge sind gleich­wer­tig und die­nen auch als Aus­gän­ge. Hat man die­se durch­quert, sieht man im inne­ren und an den Stirn­sei­ten der gro­ßen, dunk­len, schwar­zen Hal­le teils über den Köp­fen schwe­ben­de, teils boden­ho­he Lein­wän­de, auf denen die Film-Sequen­zen zu sehen sind. In der Mit­te der Hal­le erhebt sich ein brei­ter Hügel, der den Blick auf die Aus­ma­ße der Hal­le ein­schränkt. besteigt man die­sen Hügel ent­deckt man, nach und nach, wei­te­re Rei­hen mit ins­ge­samt 24 Pro­jek­ti­ons­flä­chen. Von jeder Posi­ti­on und Höhe erge­ben sich neue Per­spek­ti­ven. Am höchs­ten Punkt des Hügels sieht man die schwe­ben­den Lein­wän­de auf Augen­hö­he, Die an den Stirn­sei­ten tie­fer ange­brach­ten Flä­chen blei­ben im Hin­ter­grund sicht­bar und locken zum Abstieg. Der Boden ist weich und grif­fig, an eini­gen Stel­len sind grü­ne Flä­chen ein­ge­las­sen, über denen ton­aus­senden­de Objek­te ange­bracht sind. Die von dort aus­ge­hen­den Lau­te sind offen­sicht­lich den Sze­nen zuge­ord­net, die von eben die­sem Ort aus ein­seh­bar sind. Die­se Orte laden zeit­wei­se ein ste­hen­zu­blei­ben oder sich nie­der­zu­las­sen. Beim wei­te­ren Erkun­den des Rau­mes hört man, in der gan­zen Hal­le ver­teilt, Musik, wel­che manch­mal die Sze­nen inter­pre­tiert, oder auch für sich allei­ne klingt. Es gibt kei­nen Hall und man sieht kei­ne Reflek­tio­nen oder stö­ren­de Spie­ge­lun­gen. Das ein­zi­ge Licht geht von den Lein­wän­den aus. Schnell erkennt man, dass die Inhal­te auf den Lein­wän­den mit­ein­an­der in Ver­bin­dung ste­hen, kom­mu­ni­zie­ren und sich, wenn man inner­halb des Rau­mes von Dar­stel­lung zu Dar­stel­lung geht, Sze­nen und Geschich­ten erzäh­len. Dar­ge­stellt sind leben­de Por­traits und deren Fik­tio­nen in sich mischen­der Fol­ge. Der Ein­druck schnell beweg­ter Hand­lungs­ab­läu­fe wech­selt zu den, in sich ruhen­den Gesich­tern. Oft schlie­ßen sich Ein­zel­sze­na­ri­en zu den gan­zen Raum erfül­len­den Bil­dern zusam­men. Mehr­fach besteigt man den Hügel um den sich bil­den­den Asso­zia­tio­nen zu fol­gen und sich umzu­se­hen wenn sich die Dar­stel­lungs­flä­chen zu gro­ßen, ein­hei­li­chen Sze­na­ri­en zusam­men­fü­gen. Die Film­in­hal­te zei­gen ein ver­schlüs­sel­tes Gescheh­nis. Spielt die Raum­film­in­stal­la­ti­on mit sich selbst?

III

Hand­lungs­kreis und Dra­ma­tur­gie der Filminstallation

Ent­wurf der Sze­nen­fol­ge auf den 24 Leinwänden

Was ist auf den Lein­wän­den zu sehen?

III 1

Haupt­sze­na­rio:

Erwar­tung

Alle Lein­wän­de zei­gen den sel­ben rea­len Ort mit den dort anwe­sen­den Personen.

Ein gro­ßer gleich­zei­tig erfass­ba­rer Raum. Die Wartehalle.

Bedeu­tung des Raumes.

In einer vir­tu­el­len War­te­hal­le befin­den sich ca. zwei Dut­zend Per­so­nen, die teil­wei­se ein­zeln, zu zweit oder in klei­nen Grup­pen war­ten. Man­che unter­hal­ten sich lei­se, ande­re bli­cken im Raum umher um sich die ande­ren näher anzu­se­hen, man­che ruhen still in sich. Im Hin­ter­grund der Bil­der sieht man auf­blin­ken­de Num­mern­ta­feln. Die Auf­merk­sam­keit gilt immer wie­der die­sen, in der War­te­hal­le ange­brach­ten Tafeln, auf denen auf­stei­gend, leuch­tendro­te Zah­len­fol­gen zu sehen sind. Mit gespann­ter Erwar­tung ver­klei­nert sich der Abstand zwi­schen den Num­mern in den Hän­den unse­rer Prot­ago­nis­ten und denen auf der Tafel. Es lässt sich nicht ein­fach sagen wel­cher Art die­ser War­te­raum ist:

Eine Lot­te­rie­aus­ga­be?, Ein Amt?, Ein Ort sich zu bewer­ben? Ein Ein­gangs­be­reich zu einem Trans­port­mit­tel?, Die Waren­aus­ga­be eines Ein­kauf­zen­trums?, Der War­te­be­reich eines medi­zi­ni­schen Dia­gno­se­zen­trums? Die Hin­ter­büh­ne einer Cas­ting­show? Der VIP-Bereich eines Flug­ha­fens? Die Meldestelle?

Die Per­so­nen las­sen sich, allein über das Aus­se­hen, kei­ner fest­ge­leg­ten Grup­pe zuord­nen. Eher fas­zi­niert ihre Ver­schie­den­ar­tig­keit. Nur die kon­zen­trier­te Stim­mung ist allen gemein­sam. Die Zeit scheint end­los lang­sam zu ver­ge­hen ja ste­hen­zu­blei­ben, die wie ein­ge­fro­ren ver­har­ren­den Prot­ago­nis­ten vesin­ken in ihren Gedan­ken. Die Groß­auf­nah­men sind sehr per­sön­lich und cha­rak­te­ri­sie­ren die Stimmung.

III 2

Wand­lung;

Die Gren­zen zwi­schen den Bild­flä­chen begin­nen zu verschwimmen.

Die Film­erzäh­lung beginnt fort­schrei­tend die Phan­ta­sien der Prot­ago­nis­ten zu bebil­dern. Die Dar­ge­stell­ten schei­nen völ­lig ande­re Orte als die War­te­hal­le vor Augen zu haben. Immer wei­ter ent­fer­nen sich die gezeig­ten Spiel­or­te vom gemein­sam Erleb­ten. Die Phan­ta­sie­wel­ten der ein­zel­nen Per­so­nen unter­schei­den sich in der fil­mi­schen Dar­stel­lungs­art stark von der Real­si­tua­ti­on im gemein­sa­men Raum. Sie sind bewegt, manch­mal aus­ge­las­sen, irre­al phan­tas­tisch. Viel­fach erin­nern die Bewe­gun­gen der Dar­stel­ler mehr an Tanz, Flug- oder Schwimm­be­we­gun­gen als an das star­re Ver­har­ren des War­tens. Man ver­mu­tet, dass die Prot­ago­nis­ten über ihre Absich­ten nach­den­ken. “Was hat mich hier­her getrie­ben?” oder “wie wer­de ich ich mich ver­än­dern?” “wie sieht die Umge­bung an mei­nem Ziel aus?” “Wer wird bei mir sein?” Die Ruhen­den beob­ach­ten die Phan­ta­sie­ren­den und begin­nen eben­falls in ihre Traum­wel­ten ein­zu­tau­chen. Ein Wech­sel­spiel von beob­ach­ten und dar­stel­len beginnt. Manch­mal gibt es pein­li­che Irri­ta­tio­nen, weil das Dar­ge­stell­te zu pri­vat ist.

So beginnt man die indi­vi­du­el­len Moti­ve der Prot­ago­nis­ten kennenzulernen.

Auf den Lein­wän­den sieht man wech­seln­de, ima­gi­nier­te Orte mit den zuge­hö­ri­gen Prot­ago­nis­ten, die ande­ren Lein­wän­de zei­gen inzwi­schen die War­ten­den in Groß­auf­nah­me wie sie die Ima­gi­na­tio­nen der Ande­ren zu beob­ach­ten scheinen.

Manch­mal erscheint eine neue Num­mer auf den Anzei­ge­ta­feln dann bricht die Phan­ta­sie­welt kurz ab. Der War­te­raum ist zu sehen mit den nei­di­schen Bli­cken aller auf den, des­sen Num­mer gera­de erscheint. Es ver­schwin­den die ers­ten auf­ge­ru­fe­nen Nummernträger.

Es ent­steht ein Gefühl der Zusam­men­ge­hö­rig­keit unter den Zurück­blei­ben­den. Die Prot­ago­nis­ten begin­nen mit Bli­cken zu kom­mu­ni­zie­ren. Wenn jetzt War­ten­de in ihre Ima­gi­na­tio­nen ein­tau­chen neh­men sie ande­re mit sich. Die Per­so­nen kön­nen an den phan­ta­sier­ten Orten der ande­ren erschei­nen und dort auch agie­ren. Es begin­nen sich Grup­pen zu bil­den. Sche­men­haf­te Unter­neh­mun­gen wer­den aus­ge­führt. Die Gren­zen zwi­schen den Räu­men ver­flie­ßen. Bei­läu­fig unter­bro­chen von auf­schei­nen­den Zah­len­an­zei­gen auf den Num­mern­ta­feln – ein­zel­ne ver­schwin­den jetzt wie­der aus dem War­te­raum – beginnt eine zuneh­mend gemein­sa­me Bilderphase.

Alle Lein­wän­de schlie­ßen sich zu einem Sze­na­rio zusam­men. Ein Phan­ta­sie­ort. Man erin­nert sich an die­sen Ort. War er zuvor einem der Prot­ago­nis­ten zuge­ord­net? Die Bewe­gun­gen der Prot­ago­nis­ten wan­dern von Lein­wand zu Lein­wand durch die Hal­le. Man soll­te mitfah­ren.

Hier tref­fen nun ver­schie­dens­te Cha­rak­te­re auf­ein­an­der. Wie reagie­ren die­se auf­ein­an­der? Was kön­nen sie gemein­sam trei­ben? Haben viel­leicht doch alle ein gemein­sa­mes Ziel? Die Hin­ter­grün­de wech­seln, es scheint den Ver­such zu geben einen Kon­text zu fin­den. Es beginnt eine Rei­se in fer­ne Wel­ten. Die Phan­ta­sie­ren­den schei­nen mit immer aus­ge­fal­le­ne­ren ima­gi­nier­ten Orten zu kon­ku­rie­ren. Die ver­schie­dens­ten Trans­port­mit­tel wer­den aus­pro­biert. Der Tanz durch die Welt. Im Hin­ter­grund der Orte sieht man manch­mal Num­mern auf­leuch­ten oder sie sind in den Bil­dern ver­steckt, zum Bei­spiel als Lini­en­num­mer einen Bus­ses, als Haus­num­mer oder als Auf­druck auf dem T‑Shirt eines Pas­san­ten. Als Fol­ge ver­schwin­den ein­zel­ne Prot­ago­nis­ten mys­te­ri­ös. In der Vor­stel­lung der Dage­blie­be­nen bil­den sich Ver­mu­tun­gen. Soll­ten die Auf­ge­ru­fe­nen jäh, geheim­nis­voll oder gewalt­sam ver­schwin­den? Sol­che Sze­nen des Ver­schwin­dens wer­den dar­ge­stellt. Das scheint dem Wil­len der Ver­mu­ten­den zu ent­spre­chen. Betrug Ver­bre­chen Unmoral.

Im Raum ent­ste­hen klei­ne­re Inseln in deren Nähe zusam­men­hän­gen­de Sze­na­ri­en erkenn­bar sind. Die­se wech­seln. Man kann nicht alles gleich­zei­tig wahr­neh­men, man muss sich entscheiden.

III3

Rase­rei

Die Anwe­sen­den Dar­stel­ler wer­den folg­lich immer weni­ger. Die letz­ten Übri­gen zei­gen Rast­lo­sig­keit anstatt Sor­ge. Wer wird allei­ne sein? Als der letz­te Prot­ago­nist wie­der­spens­tig ver­schwin­det sind schon auf ein­zel­nen Lein­wän­den Per­so­nen von hin­ten zu sehen. Sind das die Fort­ge­gan­ge­nen? Die Hal­le füllt sich lang­sam mit sol­chen, sich nähern­den Auf­nah­men von hin­ten. Auf allen Lein­wän­den sind end­lich nur noch sol­che Bil­der zu sehen.

Es sta­bi­li­siert sich ein gemein­sa­mer Hin­ter­grund für alle. Es beginnt auf allen Lein­wän­den eine Bewe­gung in Blick­rich­tung der Abge­bil­de­ten die sich zur rasen­den Fahrt stei­gert. Alles bewegt sich in eine Rich­tung. Vorwärts.

An den Per­so­nen vor­bei blickt man auf eine Umge­bung, die fort­schrei­tend explo­diert. In allen Rich­tun­gen, in die man blickt, ent­fernt sich alles nach aus­sen. Die Raum­mit­te scheint sich end­los aus­zu­deh­nen. Am Ende die­ser Rei­se lan­den alle vor einem Gebäu­de, einem Ein­gang. Sie gehen hinein.

Schlei­fen­punkt!

IV

Die Zusam­men­stel­lung der Mit­spie­ler und die Aus­wahl der Spielorte

IV1

Die Prot­ago­nis­ten

Die gezeig­ten Per­so­nen sind sym­bol­haf­te Stilisierungen.

Der Unter­händ­ler, die Mana­ge­rin, das Lie­bespaar, die Fami­lie, Tou­ris­ten, Antrag­stel­ler, der Lesen­de, drei Kin­der, Sol­da­ten, Berufs­fah­rer, Stadt­bumm­ler und Kun­den, All­wis­sen­de, Ver­ständ­nis­lo­se, Lei­ter und Len­ker, Sor­tie­rer und Geniesser.

Die Beson­der­hei­ten der Prot­ago­nis­ten, deren Her­kunft und Zie­le, erschlie­ßen sich durch die ihnen zuge­ord­ne­te Phan­ta­sie­welt, in der sie sich zuerst zusam­men mit Ihres­glei­chen befin­den. Spä­ter erkennt man in der Aus­wahl ihrer Part­ner die Vor­lie­ben der ein­zel­nen Cha­rak­tä­re. In wel­chen Sze­na­ri­en ande­rer Prot­ago­nis­ten tre­ten sie auf? Gemein­sam ist ihnen allen der Wunsch nach Wandlung.

IV2

Die Phan­ta­sie­wel­ten und Spielorte

Die Phan­ta­sie­wel­ten, sym­bo­li­sie­ren die Her­kunft und die Zie­le, zuerst indi­vi­du­el­ler dann gemein­sa­mer Art. Der Sinn und des War­tens. Durch die­se, den Prot­ago­nis­ten zuge­ord­ne­ten ima­gi­nier­ten Orte, erfährt man von deren Her­kunft, wel­che Moti­va­ti­on die sich dar­in bewe­gen­den Cha­rak­tä­re antreibt, aber auch wohin sie zie­hen wol­len. Oft ent­wi­ckeln sich die Traum­wel­ten ein­zel­ner Prot­ago­nis­ten unter den Bli­cken der Beob­ach­ter zu real begeh­ba­ren Wel­ten. So kön­nen die­se an ihnen unbe­kann­te Orte rei­sen und Frem­dem begegnen.

Geplan­te Spiel­or­te der Imaginationen:

Stra­ßen­schluch­ten. Der Wald. Wüs­te, Sand und Meer. Die gemüt­lich sich fül­len­de Woh­nung. Glei­se und Bahn­hö­fe (erin­nern an die his­to­ri­sche Ver­si­on von 1965). Inner­halb eines rasen­den Trans­port­mit­tels. Die Frem­de. Im Dun­keln. Die Biblio­thek. Die Men­schen­men­ge. Die Haut. Das Büro. Die Baustelle.

IV3

Die Num­mern

Die Num­mern in der Spiel­hand­lung sind das ver­bin­den­de Ele­ment das allen gemein­sam ist.

Es drückt die kon­zen­trier­te Span­nung im War­te­raum aus aber auch den Ent­schluss und Startpunkt.

Das Ende des Wartens.

Stand 01.03.16

CHRISTIAN REITZ

MATHIAS REITZ ZAUSINGER

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